David Solomon, präsentierte Ihnen gestern ein ausgesprochen ambitioniertes Unternehmen: den Versuch, 4000 Jahre jüdischer Geschichte in einer Nussschale zu bündeln: eine Geschichte von Spiritualität und Gelehrsamkeit, Verfolgung und Selbstbehauptung, von grässlichem Leid und großartigen kulturellen Leistungen.
Sehr geehrte Damen und Herrn,
herzlich willkommen in der Heinrich-Böll-Stiftung.
Ich freue mich, Sie zum heutigen Vortrag von David Solomon begrüßen zu können: „Judentum bedeutet Lernen - Die gesamte Jüdische Geschichte in einer Stunde“
Wie der Titel ahnen lässt, erwartet Sie ein ausgesprochen ambitioniertes Unternehmen: der Versuch, 4000 Jahre jüdischer Geschichte in einer Nussschale zu bündeln: eine Geschichte von Spiritualität und Gelehrsamkeit, Verfolgung und Selbstbehauptung, von grässlichem Leid und großartigen kulturellen Leistungen.
Es grenzt an ein Wunder, dass ein Volk, das über den ganzen Erdball zerstreut wurde und immer wieder schlimmen Verfolgungen ausgesetzt war, über Jahrtausende hinweg seinen geistigen Zusammenhalt bewahrt hat: eine Gemeinsamkeit, die nicht nur auf einem Kanon von überlieferten Schriften, Erfahrungen und Regeln beruht, sondern immer wieder erneuert und fortgeschrieben wird.
Götz Aly hat in seinem neuen Buch den NEID auf die erfolgreichen Juden als ein wesentliches Motiv des Antisemitismus herausgearbeitet. Zum Neid kamen nach der Vernichtung der europäischen Juden durch den Nationalsozialismus die Schuldgefühle, und aus den Schuldgefühlen erwuchs der Eifer, Israel für seine Besatzungspolitik mit großer Schärfe zu verdammen. Das entlastet.
Wir wollen heute Abend einen anderen Blick auf das Judentum werfen und fragen, was die Kraft und Kreativität dieser Gemeinschaft ausmacht, die von den einen bewundert und von den anderen mit Neid und Ressentiments beantwortet wird. Wer letzten Donnerstag das Eröffnungskonzert der diesjährigen jüdischen Kulturtage miterlebt hat, versteht vielleicht besser, wovon ich rede. Es war ein musikalisches und emotionales Ereignis erster Güte.
Die aktuelle Debatte über die Beschneidung von Jungen jüdischen und muslimischen Glaubens zeigt, dass die multikulturelle Realität unserer Gesellschaft ein hohes Maß an Kenntnissen übereinander und Dialog miteinander erfordert. Kulturrelativismus ist dabei ebenso fehl am Platz wie die ignorante Verabsolutierung der eigenen Vorstellungen. Man muss die Traditionen der anderen weder teilen noch gutheißen, aber man sollte ihre Bedeutung und ihren Kontext kennen, bevor man über sie urteilt.
Dass man uralte, identitätsstiftende religiöse Praktiken nicht einfach mit einem Federstrich kriminalisieren kann, noch dazu ohne intensiven Dialog mit den Betroffenen, sollte nicht nur gegenüber der jüdischen Minderheit in Deutschland klar sein - ist es aber offenbar nicht.
Das Wissen über das Judentum ist in Deutschland mit den Juden untergegangen. Jüdisches Leben, das über ein Jahrtausend die europäische Kultur mit geprägt hat, wurde in wenigen Jahren des entfesselten Antisemitismus zertreten. Es war nicht das Fremde, das mit den Juden vernichtet wurde – es war die Blüte der deutschen Literatur, Kunst, Wissenschaft.
Dass wir heute eine Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland erleben, ist ein Geschenk. Die jüdische Gemeinschaft ist wieder im geistigen, politischen und gesellschaftlichen Leben unseres Landes präsent. Aber die Polizeiposten vor den jüdischen Einrichtungen machen deutlich, dass wir von „Normalität“ noch ziemlich weit entfernt sind.
Die jüdischen Gemeinden in Deutschland bestehen heute zu etwa 90 Prozent aus Neumitgliedern, die in den letzten zwanzig Jahren vornehmlich aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen sind. Doch nicht allein die Einwanderung verändert das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinschaft. Eine junge Generation definiert neu, was es heißt, jüdischer Deutscher zu sein (oder, vorsichtiger gesagt, als Jude in Deutschland zu leben).
Auch die sichtbare Präsenz von Muslimen in Deutschland trägt dazu bei, dass Normen, Differenzen und Gemeinsamkeiten in der multikulturellen Demokratie neu verhandelt werden müssen. Dazu gehört auch die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik.
Mit dem heutigen Vortrag, der im Rahmen der Jüdischen Kulturtage in Berlin stattfindet, will die Heinrich-Böll-Stiftung – wie im Vorjahr - einen Beitrag zur Vertiefung unseres Wissens und damit für ein besseres Verständnis der jüdischen Religion und Kultur leisten.
David Solomon, Gastreferent des heutigen Abends, ist als Lehrer und Autor weltweit unterwegs. Ursprünglich aus Jerusalem, lebt und lehrt er derzeit in Sydney (Australien). Sein Hauptgebiet sind Jewish Studies. International bekannt wurde er durch das Konzept „In One Hour“ (in einer Stunde) berühmt, dessen Aufführung wir gleich erleben werden.
Wer sich für seinen zweiten Vortrag „Kabbalah in einer Stunde“ interessiert, kann ihn am Mittwoch in der der Konrad-Adenauer-Stiftung hören.
Neben David Solomon bedanken wir uns herzlich bei Sophie Mahlo, der Kuratorin der Jüdischen Kulturtage, sowie bei Martin Kranz, dem Intendanten, für die bewährte partnerschaftliche Zusammenarbeit.
Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit und gebe das Wort an Sophie Mahlo, die sie im Namen der Jüdischen Kulturtage 2012 begrüßen wird.